3. April – 17. Juni
KASTEN 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6

KATJA JUG + SASCHA ROESLER
IM ZENTRUM, EIN ZELT

Die sechs Kästen werden mit je einem Foto ausgestattet. Die Fotos zeigen Wohnsituationen. Die Kästen ermöglichen dadurch Einblicke in gleichzeitig alltägliche und intime (private) Orte, die normalerweise dem öffentlichen Blick entzogen sind. Der Stadtraum von Schaffhausen wird somit als Bühne genutzt, um den Wohnalltag von anderen Leuten zu zeigen. Die vielfach zitierte Durchdringung von privater und öffentlicher Sphäre wird hier wörtlich verstanden. Die Herkunft der Bilder wird absichtlich offen gelassen. In der Zusammenschau der sechs Bilder erschliesst sich die gleichzeitig kulturelle und transkulturelle Dimension des Wohnens. Die Auswahl und Präsentation der gezeigten Bilder erfolgt vor dem Hintergrund eines migrantischen Daseins, zu dem sich heute weltweit viele Menschen gezwungen sehen. Wer auf der Flucht ist oder um Asyl bitten muss, für den ist es keine Selbstverständlichkeit mehr, über eine Wohnung zu verfügen. In Zeiten weit verbreiteter existenzieller Not, mit Millionen Menschen auf der Reise, erinnern die Bilder an die Notwendigkeit und das Recht zu wohnen.


KATJA JUG
Katja Jug ist bildende Künstlerin. Sie hat den Bachelor in Kunst-, Design- und Medientheorie an der Zürcher Hochschule abgeschlossen und verfügt über einen Master in Contemporary Arts Practice von der Hochschule der Künste Bern. Katja Jug beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit sozialen und kulturellen Räumen: Identität, Zugehörigkeit und der Zusammenhang von Erinnerung und Gegenwart bestimmen ihre Recherchen. Mittels Dokumentation, Selbst-Inszenierung und Interaktion mit ihrem direkten Umfeld erstellt sie eigene Foto-und Spracharchive. Die dabei gesammelten und erfundenen Geschichten werden in Installationen, Happenings und Künstlerbüchern zusammengeführt. Zwischen 2013 und 2015 untersuchte sie in Singapur im Rahmen eines Forschungsprojektes des Future Cities Laboratory (ETH Zürich) die visuelle Kultur des öffentlichen Massenwohnungsbaus.
www.katejug.net


SASCHA ROESLER
Sascha Roesler ist forschender Architekt. Er hat an der ETH Zürich Architektur und an der Zürcher Hochschule der Künste Theorie der Gestaltung und Kunst studiert. Zur Zeit hat er eine SNF-Förderprofessur für populäre Architektur und Urbanisierung an der Accademia di architettura in Mendrisio inne. Zuvor hat er zwei Jahre in Singapur verbracht, wo er am Future Cities Laboratory der ETH Zürich zu Belüftungsformen im Massenwohnungsbau Südost-Asiens geforscht hat. Sascha Roesler wurde zweimal (in der Sparte Architektur) für den Swiss Art Award nominiert; 2012 wurde er mit diesem Preis ausgezeichnet.
www.sascharoesler.ch

EINBLICKE
Sascha Roesler und Katja Jug sind dem Alltagsleben im tropischen Klima auf die Spur gegangen. Im Interview mit «Urbansurprise» schildern sie ihre Einsichten aus einem Forschungsprojekt, das den Städtebau, die Kunst und den Alltag miteinander verbindet.
von Claudia Härdi, Datum: 27. März 2016

Sie zeigen in den sechs Schaffhauser Kunstkästen Fotografien von Menschen und ihren Wohnungen in Singapur. Die Fotografien sind im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts in Singapur entstanden. Worum ging es in diesem Projekt?
Sascha Roesler: Ich habe am ETH-Stadtforschungsinstitut «Future Cities Laboratory» ein Forschungsprojekt geleitet. In diesem Projekt haben wir die Formen der Belüftungen im Massenwohnungsbau in Singapur und in Medan untersucht. Es ist dort sehr heiss und feucht und darum gibt es eine lange Tradition von natürlichen Belüftungen. Die Bewohner Singapurs haben sich seit jeher überlegt, wie sie mit der Architektur und dem Städtebau möglichst angenehme Lebensbedingungen schaffen können. Zum Beispiel mit Querlüftungen oder über Grünräume. Wir sind zusammen nach Singapur. Ich als Mitarbeiter der ETH und Katja Jug als freie Künstlerin. Katja Jug hat in diesem Projekt einen Bereich abgedeckt, der in architektenbasierten Forschungsprojekten durch die Maschen fallen würde.

Und der wäre?
Sascha Roesler: Obwohl in Singapur Klimaanlagen sehr wichtig geworden sind, haben wir auch die alten Kulturen der Klimatisierung untersuchen. Dabei war uns der Zugang zu einer alltäglichen Wohn- und Alltagskultur wichtig, den Katja Jug mit ihrer Arbeit abgedeckt hat.
Katja Jug: Die Alltagskultur beschäftigt mich in meiner Arbeit immer wieder. Der Raum, das Wohnen und das Zusammenleben. Uns beide wiederum interessiert das Interdisziplinäre. Das ist auch die Basis für eine solche Zusammenarbeit.

Wie sah diese Zusammenarbeit konkret aus?
Sascha Roesler: Wir arbeiten beide sehr forschungsbasiert. Katja Jug in der Kunst und ich in der Architektur. Die Herangehensweise und die Arbeit selbst haben wir stets im Dialog entwickelt.
Katja Jug: Da wir uns regelmässig austauschen geschieht vieles im Gespräch. Der Zugang zu den Themen hat etwas Erzählerisches. Dadurch entdecken wir immer wieder Neues.

Katja Jug, wie gelang es ihnen all diese Menschen in ihren privaten Räumen zu fotografieren?
Katja Jug: Im Vorfeld dieses Projekts habe ich darüber nachgedacht, wohin ich mit dem Projekt will und wie ich die Menschen ansprechen könnte. Darüber hinaus machte ich mir Gedanken darüber wie ich das visuell einfangen könnte. Zunächst einmal habe ich einen Fragebogen zusammengestellt. Fragen etwa nach dem Umgang mit der Hitze und nach den persönlichen Methoden sich abzukühlen. Also letztlich ganz individuelle Fragen, die darauf abzielen, ob ich daraus einen gemeinsamen Nenner oder das Gegenteil davon ableiten kann. Danach habe ich über mein Netzwerk die ersten Kontakte geknüpft. Die Treffen mit den Bewohnern verliefen sehr gut und es waren stets sehr interessante Gespräche. Zu meinem Erstaunen waren die Menschen offen. Ich habe zumindest erwartet, dass es etwas schwieriger werden wird. Der Zugang zu den Bewohnern und die Gespräche waren mir sehr wichtig.

Worüber haben Sie sich unterhalten?
Katja Jug: Ich habe mit ihnen über ihren Alltag geredet. Über ihre Familien und wie sie leben. Ich lasse mich in meinen künstlerischen Projekten von der Erfahrung und dem Prozess leiten. Und es ist auch immer die Begegnung mit den Menschen, die mich interessiert. In Singapur ist aufgrund der Treffen eine grosse Fotoserie entstanden.

Was haben Sie während ihrer Forschungsarbeit herausgefunden? Gibt es in Singapur einen allgemeingültigen Umgang mit dem hiesigen Klima?
Katja Jug: Es ist etwas, das keine allgemein gültigen Regeln kennt. Das Allgemeine ist, dass es etwas sehr Individuelles ist, wie die Temperaturen empfunden werden und wie damit umgegangen wird. Auch die Einheimischen, die sich an dieses Klima gewöhnt haben, sagen es sei viel zu heiss. Sie verbringen beispielsweise den Tag in einem klimatisierten Raum und achten darauf, dass sie sich tagsüber möglichst nicht im Freien aufhalten müssen. Viele junge Leute leben heute in klimatisierten Wohnungen.
Sascha Roesler: Ältere Leute hingegen bevorzugen eher natürliche Belüftungsmethoden. Das ist dann auch ein anderes Wohnen, das ein bestimmtes Verhalten mit sich zieht. Die Türen müssen offen bleiben und man muss dazu bereit sein, die Räume mit anderen zu teilen. Das sind Phänomene, die uns interessierten. Vergleicht man nach ethnischer Zugehörigkeit, entdeckt man ebenfalls Unterschiede.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Katja Jug: Besonders bleibt mir ein Besuch in einem Mehrgenerationenhaus in Erinnerung. Dort habe ich eine Frau und ihre Familie getroffen. Die Frau hat mir erzählt, wie in einem solchen Haus gelebt wird. Das Mehrgenerationenhaus war zwar mit Klimaanlagen ausgestattet, diese wurde jedoch nicht gebraucht. Stattdessen haben die Bewohner dafür gesorgt, dass stets die Vorhänge zugezogen sind, damit es schattig ist. Das ist ein sehr natürlicher Umgang mit der Hitze.
Roesler: Es ist ein deutlicher Generationenunterschied auszumachen. Die Jungen sind es sich gewohnt, in klimatisierten Räumen, die auf 18 Grad heruntergekühlt werden, zu leben. Vergleichbar mit dem Winter in der Schweiz wo alle Räume 23 Grad warm sein müssen. Der Energieverbrauch, den dieses Verhalten mit sich zieht, ist irrsinnig. Darum forsche ich in diesem Gebiet, mit dem Ziel herauszufinden, ob es noch eine grössere Klaviatur an Möglichkeiten geben würde.

Katja Jug, auf ihren Fotografien sind viele grüne Innenhöfe zu sehen. Ist Singapur eine sehr grüne Stadt oder täuscht der Eindruck?
Katja: Singapur ist sehr grün. Das ist das erste was auffällt. Diese schöne Natur mitten in der Stadt ist die Qualität von Singapur. Die meisten Grünflächen sind gestaltet.
Roesler: Im Vergleich zu Hongkong, einer Stadt, die nur aus Häusern besteht, fallen die Grünräume in Singapur sofort auf. Singapur ist eine Hochhausstadt. Dadurch hat man sehr hohe Dichten erreicht. Singapur hat es jedoch geschafft, damit sehr grosse Flächen frei zu spielen. Es gibt viele Pärke und einen Regenwald in der Stadt. Das ist sehr eindrücklich.

Zurück zum Kunstkastenprojekt in Schaffhausen. Gibt es etwas Gemeinsames zwischen Singapur und Schaffhausen?
Sascha Roesler: Vielleicht der Grünraum, der auch in Schaffhausen in Reichweite ist. Der eigentliche Reiz am Kunstkastenprojekt mitzumachen war die Möglichkeit, unsere Arbeit im Kontext des öffentlichen Raumes der Stadt zu zeigen.
Katja Jug: Mich haben die Schaukästen als Räume interessiert. Uns ging es vor allem darum, mitten im öffentlichen Raum intime Einblicke in alltägliche Wohnsituationen zu ermöglichen.

VERNISSAGE

Alle Bilder: Rudolf Wäckerlin

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