7. Jan. – 18. März
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PIERRE NÉMA
FENSTER ZUM RAUM

Pierre Néma (*1964 in Graz, A) lebt und arbeitet in Schaffhausen. Studium der Architektur an der ETH Zürich, Diplom 1992. Vorstandsmitglied des Schaffhauser Architektur Forums und des Schaffhauser Heimatschutzes. Arbeitet als Architekt und fotografiert in der Freizeit.
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Wer die Augen offen hält, sieht so viel.
Er streift durch Schrebergärten, spaziert durch Quartiere. Immer mit dabei: Die kleine Lumix-Digitalkamera. So schiesst Pierre Néma Fotos von Situationen im öffentlichen Raum, denen man auf den ersten Blick nichts Spezielles anmerken mag. Néma geht es aber nicht um den ersten Blick, sondern um die Welten, die sich denen auftun, die ihre Augen öffnen.

Gespräch mit Pierre Néma, Schaffhausen, 6. Dezember 2017
Aufgezeichnet von Isabelle Lüthi

Weit weg vom Alltag entdeckte Pierre Néma das Faszinierende am Alltag. Vor einiger Zeit bereiste er mit seiner Familie den Osten der USA, wo er zum ersten Mal seit Langem wieder intensiv fotografierte. Die entstandenen Bilder überraschten; sie erinnerten ihn an die Werke amerikanischer Fotografen der Nachkriegszeit, die Alltägliches wie etwa eine Tankstelle oder einen Shop zeigen und trotzdem eine starke Wirkung ausüben. Néma fragte sich: Fasziniert uns nur das, was uns noch unbekannt ist oder finden wir auch Faszinierendes im uns bekannten Raum? Im Normalen eben, zu Hause in Schaffhausen?

Was könnte da noch alles sein?
Seither versucht er, mit offenen Augen durch Schaffhausen zu gehen. Dabei fotografiert er unaufhörlich. Als Künstler bezeichnet sich Néma trotzdem nicht. Hauptberuflich arbeitet er als Architekt, was sich in seiner fotografischen Arbeit niederschlägt. Auch hier interessiert er sich für den Raum. Mit der Fotografie hat er das passende Mittel gefunden, über die Wahrnehmung des Raums nachzudenken. Die Reduktion von der Dreidimensionalität in eine Fläche empfindet er nämlich nicht als Reduktion, sondern vielmehr als Erweiterung. Einmal sehen wir ein verwirrendes, dichtes Geäst, das sich über einen Wasserfall legt. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein fotografiertes Gemälde. Nur dank dem Weg im vorderen Teil des Bildes wird erkennbar, dass es sich hier um einen Raum mit Tiefe handelt. Der Weg erlaubt quasi den Eintritt ins Bild. Ein anderes Mal lugt ein Auto aus einer in einem Hang verborgenen Garage hervor. Automatisch denken wir uns den Garagen-Raum zu Ende und fragen uns, was denn da alles noch sein könnte in diesem Hang. Die dritte Dimension geht also keineswegs verloren, sie entsteht im Kopf der BetrachterInnen. Die erzwungene Begrenzung des Ausschnittes durch das quadratische Format der Bilder regt die Fantasie an, über weitere Räume nachzudenken.
Dadurch, dass die Bilder unbearbeitet und vorwiegend in schwarz-weiss gehalten sind, wird man nicht etwa von Farben abgelenkt. Fehlender Kontrast und Farbe erzeugen aber nur eine scheinbare Flachheit, denn beim genaueren Betrachten weist jedes Bild eine reichhaltige Zeichnung auf.

Ein spezieller Blick auf Schaffhausen
Gewisse Aufnahmen haben eine kritische Note: Wenn Néma ein Haus so fotografiert, dass es ganz genau von einem Baum überdeckt wird, drängt sich die Metapher einer Natur auf, die den Menschen dominiert. Solche Aufnahmen sind spannend, weil sie wiederum einen neuen Blickwinkel auf eine eigentlich bekannte Stadt ermöglichen. An dieser Stelle berichtet Néma, was ihn gerade umtreibt: Vor kurzem hat er die Fotografien vom amerikanischen Fotografen Derek Bennett entdeckt, der in den 80ern Schaffhausen fotografisch festhielt – und zwar auf eine „spezielle Weise“, wie man sich damals einig war. Die Ähnlichkeit zwischen den Bildern der beiden Fotografen ist teilweise verblüffend. Auch Bennett gelang es, mit einer ausgewählten Perspektive einem Raum völlig neue Dimensionen zu geben.

Vorgestellte Räume
Neue Dimensionen eröffnen sich auch mit den Fotografien in den Kunstkästen. Néma fotografiert den Raum um den Kunstkasten herum und stellt dieses Bild aus. So entsteht eine Gegenüberstellung ein und desselben Raums – und trotzdem wirken die beiden überraschend unterschiedlich. Wären auf dem Bild nicht irgendwo die Kunstkästen selbst abgebildet, man wähnte sich in einer völlig anderen Welt. So überrascht besonders, wie Néma diese Orte inszeniert, die nicht unbedingt vor Schönheit strotzen. Die karge Wand hinter dem dritten Kasten wirkt mit den zwei flankierenden Bäumen plötzlich wie eine verschneite Winterlandschaft. Sie gewinnt an einer erstaunlichen Tiefe und nur der Kunstkasten selbst verankert das vorgestellte Bild wieder im Hier und Jetzt.

Alle, die denken, sie kennen die Kunstkästen schon sehr gut, werden überrascht sein, welch neue Blicke auf bekannte Winkel Némas Werke ermöglichen. Wer die Augen offen hält, denen wird sich eine Welt auftun. Oder wie es Néma mit den Worten von Italo Calvino sagt: „Draussen ist die Welt. Und drinnen? Auch die Welt, was denn sonst?“

VERNISSAGE

Alle Bilder: Andres Bächtold

PRESSE

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