1. Juli – 23. Sept.
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URS KICK
STADTBILDER

Urs Kick M. Arch. SIA/MRAIC
Aufgewachsen in Neuhausen.
Mehrjähriger Aufenthalt in Canada. Mitarbeit in Architekturbüros und Studium an der University of Calgary, Canada. Die Diplomarbeit ‚Architecture for the Mind’ wurde mit der Goldmedaille des American Institute of Architecture ausgezeichnet.
Gründete 2001 zusammen mit Stephan Hofer das Büro hofer.kick architekten in Schaffhausen.
Realisierte Projekte: siehe Website: www.hoferkick.ch
Mitglied des SIA, Reg. A und des Royal Architectural Institute of Canada.


Die Stadt frustriert, die Stadt fasziniert
Der Schaffhauser Architekt Urs Kick ist fasziniert von Städten. Aber er kann sie nicht begreifen. In seinen „Stadtbildern“ geht er mit einem architektonischen und einem persönlichen Blick der Entwicklung einer Stadt nach.

Gespräch mit Urs Kick, Schaffhausen, Anfang Juni 2018
Aufgezeichnet von Isabelle Lüthi

Urs Kick begreift die Stadt nicht. Andere, die Städte planen, können es vielleicht. Sie stampfen ganze Städte aus dem Boden, wissen schon im Voraus, welche Statue welcher Grösse wo stehen wird. Er kann das nicht. Obwohl sich Kick schon lange mit der Stadt und ihrer Entwicklung befasst, überall auf der Welt. Der Architekt lebte und arbeitete lange in Kanada, liebt New York und wohnt seit 1996 in Schaffhausen. Hier entwarf sein Büro, hofer.kick architekten, beispielsweise das Landhaus beim Bahnhof. Hier, im ehemaligen Atelier von Bernhard Wüscher, erhält man auch einen ersten Blick auf Kicks „Stadtbilder“, mit denen er die Kunstkästen besetzen wird.

The Endless City (Buch-Cover): The Urban Age Project by the London School of Economics and Deutsche Bank’s Alfred Herrhausen Society

Die Stadt nicht (be)greifen
In ihnen geht Kick der Entwicklung einer Stadt nach. Städte frustrieren und faszinieren ihn gleichermassen. Und nicht nur ihn: Studien prophezeien, dass im Jahr 2050 drei Viertel aller Menschen weltweit in einer Stadt leben werden. Sie versprechen sich von der Stadt unter anderem kulturelle Vielfalt, eine bessere Gesundheitsversorgung und vor allem Arbeit. So wird jede Stadt zum komplexen Schmelztiegel, zum Ort der Gegensätze. Wer sich also mit Kick über sein Werk unterhält, kommt nicht umhin, gleichermassen über Architektur wie über Kultur zu reden, über Smart Cities und die Alten Griechen, über künstliche Intelligenz und ja, auch über den Sinn des Lebens. Kicks Arbeit ist eine persönliche Suche nach etwas, das sich niemals wird greifen lassen.

Das zeigt sich sogleich im ersten Bild. Wir sehen eine, in eine Stadtkarte umfunktionierte, Zeichnung von Architekt Daniel Libeskind, die Urs Kick mit einer roten Linie versehen hat. Sie scheint einen Weg zu verfolgen, verliert sich dann aber im Nichts. Sie symbolisiert Kicks erfolglose Suche nach einem Standort, von wo aus sich eine Stadt überblicken und (be)greifen lässt.

Aber wieso denn die Stadt überhaupt verstehen wollen? „Der Mensch will immer Ordnung schaffen. Er will kontrollieren.“, sagt Kick.

Kontrolle und Chaos
Genau das gibt er wieder im zweiten Kunstkasten.
Auf einer Zeitungscollage klebt ein Stück Teppich mit einem klar umrissenen Rand, der an eine Mauer erinnert. Im 16. Jahrhundert war es das Ziel vieler bekannter Architekten, „Idealstädte“ zu kreieren. Die schützenden Stadtmauern hatten dabei eine wichtige Funktion: Sie trennten klar zwischen Drin und Draussen, zwischen Dazugehören oder nicht. Dank diesem Mechanismus sollten die idealen Städte optimal effizient funktionieren, sie waren überschau- und kontrollierbar. Die Mauer als Machtinstrument, das Ordnung schafft. Kick wählt hier einen Teppich als Material, da StadtplanerInnen häufig vom „Gewebe einer Stadt“ sprechen; ein Begriff, der ihm zu zweidimensional ist. Mit seinen Knoten gibt ein Teppich die Dreidimensionalität und das punktuelle Wachsen einer Stadt viel besser wieder.

Jean Jacques Moll, Plan d’une Ville de Cent Mille Âmes 1801
Palma Nova 1593, Palmanova als Idealstadt in Sternform nach Georg Braun und Frans Hogenberg

Den Teppich finden wir auch in Bild 3, hier aber plötzlich als zerschnittenes Flickwerk. Kick beschreibt, wie der im Jahre 1564 angefangene Bau des französischen Tuilerienpalastes ausserhalb der eigentlichen Stadtmauer ein nachfolgendes architektonisches Wachsen aufs umliegende Land hin auslöste. Die Stadt zerstreute sich, Grenzen weichten sich auf und Kontrolle wurde schwierig bis unmöglich – man denke da beispielsweise an Favelas, wo innerhalb von bestehenden Städten neue entstehen mit eignen Gesetzmässigkeiten.
Wenn der letzte Kunstkasten der Traum aller StadtplanerInnen ist, dann ist das hier ihr Albtraum.

Louvre tuileries 1564

Wandel und Reibung
Doch der Traum – die perfekte Stadt – wird immer ein Traum bleiben. Der Philosoph Heraklit hat gesagt, man könne niemals zwei Mal in denselben Fluss steigen. Und so verhält es sich auch mit der Stadt. Jede Stadt verändert sich ständig, an jeder Ecke wird gebastelt, erweitert. Menschen ziehen um, Häuser werden renoviert, hier entsteht ein Laden, da muss ein anderer schliessen. Kick meint, dass gerade diese Unstetigkeit es erschwere, Zukunftsvisionen für Städte zu entwickeln. Den Wandel gibt der Künstler im vierten Kunstkasten wieder mit verschiedenen Farbflächen, die scheinbar über die Zeitungscollage tanzen.

Eine gleichmässige Reihe schwarzer Würfel wird in Bild Nummer 5 gestört von verschiedenen Elementen wie einem roten Würfel etwa oder einer Bruchlinie. Hier unterstreicht Kick nochmals, dass Perfektion in einer Stadt weder möglich noch erstrebenswert ist. Denn Neues und Spannendes entsteht erst dort, wo sich eine Störung befindet. Schwache, dreckige Stellen, das Unerwartete und Lebendige. Als bekannte Störung nennt Kick den Time Square in New York, wo der Broadway, einem alten Indianerpfad folgend, mit dem rechtwinkligen Strassennetz von Manhattan kollidiert. In Schaffhausen empfindet er den Sankt Johann als Störung: Die Kirche ist zurückversetzt und deutlich grösser als die umliegenden Gebäude. Seine anderen Dimensionen reiben sich am restlichen Erscheinungsbild der Vordergasse.

Die grosszügige Stadt
Im letzten Kunstkasten sehen wir eine Liste von gegensätzlichen Wortpaaren, verbunden mit einem „und“: „Mandela und Capone“, „Gift und Heilmittel“, „privat und öffentlich“… Das Wort „und“ steht im Zentrum. Im Gegensatz zum trennenden „oder“ ist es verbindend. Hier zeigt uns Kick die Vielfalt der Stadt, ihre Fähigkeit grosszügig alles einzuschliessen. So sehr, dass sie fast an ihrer eigenen Komplexität scheitert.
Und genau das ist es, wodurch sich die Stadt jeder Definition entzieht, was sie so unbegreifbar macht. Und so unendlich faszinierend.

VERNISSAGE

Alle Bilder: Martin Ulmer

PRESSE

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